Narcopolis by Thayil Jeet

Narcopolis by Thayil Jeet

Autor:Thayil, Jeet [Thayil, Jeet]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-10-401623-8
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2013-08-14T16:00:00+00:00


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Rashid schaute auf die Straße. Bei einem Abfallhaufen an der Kreuzung Shuklaji Street und Arab Gully hockte eine Bettlerin über einer Pfütze. Sie war dunkelhäutig, ein wenig füllig und trug einen maßgeschneiderten, jetzt um die Hüfte hochgerafften Kamiz. Entleeren. Das korrekte Wort für das, was sie tat. Ihm fiel auf, wie elegant ihr Haar geschnitten war, über den Ohren kurz, mit spitzen Strähnen davor und einem kleinen Schwanz hinten. Die Pfütze unter ihr wurde größer, und die Passanten traten kommentarlos darüber hinweg. Dann hob die Frau den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich, doch war da keine Verlegenheit in ihrem Gesicht, nur verständnisvolle Klugheit. Vom Balkon konnte er nach nebenan in Khalids Khana sehen. Der Raum war kleiner; es gab nur eine einzige Pfeife und keine Kunden, niemanden, nur der Pfeifenwallah war da. Bei Rashid ging es dagegen schon lebhaft zu, eine Gruppe spanisch sprechender Hippies hatte sich um eine Pfeife versammelt, Studenten vom Wilson College um eine andere. Dawood Chikna, aufstrebender Geschäftsmann und Gangster, wartete darauf, an die Reihe zu kommen, genau wie Bachpan, ein Zuhälter, samt Freund und Partner, dem Taschendieb Pasina. Der Letzte in der Reihe war jemand mit Spitznamen Spiderman, da er auf allen vieren kroch. Auch Salim war dort, in neuem Hemd, einem gestärkten gelben Modell mit Taschenklappen und großem Kragen. Er lag an Dimples Platz und war in ein Gespräch mit der Kaamvali versunken. Rashid hätte gern gewusst, worüber sie redeten, konnte aber nur Khalid hören, der sagte, ein Geschäftsmann sollte sich nie an der eigenen Ware vergreifen, erst recht nicht, wenn er im Drogengeschäft tätig sei, und ein Muslim dürfe die Sucht keinesfalls über die religiösen Pflichten stellen, so etwas täten höchstens die Kuffar. Rashid sah der Bettlerin zu, die jetzt Abfall vom Bürgersteig fegte, und dachte dabei an sein System. Für den Ruf eines Mannes war es wichtig, nie berauscht zu wirken. Nachmittags las er deshalb Inquilab, überflog die Leitartikel, einige Beiträge zum Treiben der muslimischen Bruderschaft in Syrien oder den neusten Übergriffen der Juden auf den Libanon – und gönnte sich ein kurzes Nickerchen. Dann gab er Bengali einen Befehl, irgendeinen, verlangte eine Pfeife oder das Mittagessen, den Malishwallah, Whisky oder Kokain, ein laut ausgesprochener Befehl an einen Angestellten, um die Rangordnung wiederherzustellen. Hatte er viel getrunken, ging er abends für ein, zwei Stunden Schlaf nach oben. Er war stets auf seinen Ruf bedacht, und jetzt saß hier dieser Khalid, dieser Kashmiri, und verbreitete Verleumdungen. Genau in diesem Moment fiel Rashid etwas Merkwürdiges auf. Alle Geräusche verstummten und alles Treiben erstarrte, als würde jeden Augenblick eine Riesenwelle über der Straße zusammenstürzen, der Sekundenbruchteil der Ruhe vor dem Chaos. Die Bettlerin verharrte reglos, eine dunkle Marmorstatue, die angespannt den Jahrzehnten lauschte, die sie durcheilten; der Salzmarsch zur Freiheit; die Jahre des Aufruhrs, des Blutvergießens und der sogenannten Unabhängigkeit; die Jahre der pakistanischen Kriege, als man Scheinwerfer schwarz anstrich, damit die Automobile nicht zum Ziel feindlicher Kampfjets wurden; die Jahre der Verordnungen, der Kontrolle und der Planwirtschaft, die Jahre des Scheiterns. Alles war



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